Der Räuber Jacob Immernüchtern

Am Abhang des über Sollstedt gelegenen Katzensteines befindet sich eine Höhle, in welcher der Räuber „Jacob Immernüchtern“ lange Zeit gehaust haben soll.
Seinen Namen hatte er davon, dass er nie Branntwein trank, also immer nüchtern anzutreffen war.
Die Höhle war früher sehr geräumig, ist aber heute größtenteils mit Laub und Erde angefüllt.
Das Versteck war günstig gelegen, denn bei einem Überfall konnte sein Bewohner nach verschiedenen Seiten freien Ausgang gewinnen. Wurde ein Angriff von oben herab versucht, so stand ihm das Tal offen, während im umgekehrten Falle die Fläche der Hainleite schnell zu erreichen war.
Außerdem gewährte die Höhle einen Überblick auf die im Tale vorbeiführende Heerstraße.
Immernüchtern hatte es bei seinen Raubzügen hauptsächlich auf die größeren Haustiere abgesehen. In dunkler Nacht, am liebsten bei Regen, pflegte er mit seinen Diebesgesellen die umliegenden Gehöfte heimzusuchen. Weder Kühe noch Pferde waren in ihren Verstecken sicher.
Die geraubten Kühe pflegte er in eine nahe bei Gerterode gelegene Höhle zu bringen, die heute noch „Immernüchterns Kuhstall“ genannt wird.
Die Pferde als den wertvollsten Besitz, verbarg er in seiner Höhle am Katzenstein. Das war „Immernüchterns Pferdestall“.
Bei seinen Räubereien übte er die Vorsicht, den Pferden die Hufeisen verkehrt herum anzuschlagen. Würde seine Spur bis zur Höhle verfolgt, so musste man glauben, er habe sie verlassen. Entfernte er sich daraus, wiesen die Spuren in die Höhle.
Aber nicht nur Pferde und Kühe, auch andere Güter, welche der Kaufmann auf der Heerstraße transportierte, waren Gegenstände seiner Diebesgier. Ein sehr lebhafter Verkehr herrschte zu jener Zeit auf der durch das obere Wippertal führenden Heerstraße, auf welcher die Waren von Braunschweig über Osterode, Duderstadt und Worbis durch den Pass bei Lohra nach Erfurt gebracht wurden.
Um die Überfälle auf dieselben recht sicher ausführen zu können, legte er auf dem Reinhardtskopfe eine Schanze an, von welcher er die arglos ankommenden Kaufleute beraubte. Die gestohlenen Gegenstände wurden später verkauft.
Die zahlreichen Diebstähle machten in der Umgebung böses Blut. Man gab sich die größte Mühe, den Dieb zu fangen, doch umsonst. Alle Nachstellungen waren vergebens. Niemand kam auf den Gedanken, dass Immernüchtern der Gesuchte sei. Endlich aber wurde der geheimnisvolle Übertäter doch ergriffen. Die ganze Bauernschaft der umliegenden Dörfer bewaffnete sich und umstellte nachts den Wald, indem sich der Räuber versteckt hatte. Nachdem man stundenlang gewartet hatte, vernahm man beim ersten Hahnenschrei das Wiehern eines Rosses, auf dem der Gesuchte entweichen wollte – und wer war es? Immernüchtern!
Das Rätsel war gelöst. Augenblicklich entspann sich nun ein harter Kampf. Immernüchtern sank, von einem wuchtigen Keulenschlag getroffen, mit den Worten: „Ich komme wieder“ tot vom Pferde.

Horst Rasemann